Steffen Gresch spielt Turgenjews
Briefnovelle "Faust" im "Theater im Viertel"
"Tolles Bühnenbild, aber was
hat das Ganze mit Faust zu tun" , so der Kommentar eines Premierenbesuchers.
"Faust" ist der Titel des Stücks im "Theater im Viertel",
das auf der gleichnamigen Novelle in Briefen von Iwan Turgenjew basiert.
"Faust" deshalb, weil die Lektüre des Dramas eine zentrale Rolle
spielt. Ob es allerdings unbedingt Faust sein muß, sei dahin gestellt,
schließlich sagt Wera, die Angebetete des Protagonisten Pawel an entscheidender
Stelle: "Was haben Sie nur mit mir angestellt. Ich liebe Sie." Sie
sagt wohlgemerkt nicht: "Was hat Faust mit mir angestellt." Ob es
mehr um Faust an sich oder um die Rolle der Literatur im Allgemeinen geht,
darüber haben sich schon die Literaturwissenschaftler bei der Interpretation
des russischen Autors gestritten. Letztendlich geht es hier auf der Bühne um
den Kampf zwischen Phantasie und Psychologie. Weras Über-Ich siegt, also deren
Mutter, welche die Phantasie, erweckt durch Literatur, mehr fürchtet als das
Feuer. Wera wird wahnsinnig, folgt der Mutter ins Grab. Diese Figur der Wera
lernen wir aus Pawels Perspektive kennen, aus dessen Briefen an einen Freund.
Neun Szenen - jede entspricht einem Brief - hat das Stück. Darin folgt Steffen
Gresch, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler, der literarischen Vorlage. Bei
der Umsetzung zieht er alle Register der darstellenden Kunst. Mal kratzt die
Feder übers Papier, wird klack, klack temperamentvoll mit Tinte gefüllt. Dann
wieder wird der Briefschreiber zum Erzähler, zum Darsteller. Gresch spielt
nicht nur Pawel, sondern auch ganze Dialoge mit Weras Ehemann. Stellt eine
Gartenszene mit Obst nach. Wera wird von einer Apfelsine symbolisiert. Später,
wenn Pawel diese zur Hand nimmt, kommt der Aha-Wera-ist-gemeint-Effekt. Die
Inszenierung enthält viele komische Elemente. Das böse Ende ist überraschend.
Trotz der tragischen Konstellation, Wera ist verheiratet und das Stück spielt
Mitte des 19. Jahrhunderts, wäre ein Happy-End denkbar. Steffen Gresch spielt
"Faust" so, daß wie immer die Geschichte ausgehen würde, die Handlung
logisch wirkt. Von der Struktur her ist es ein literarisches Stück. Zum Bühneneffekt
kommen die Möglichkeiten der Literatur hinzu. Rückblenden, in denen die
Vorgeschichte erzählt wird, fügen sich leicht, die Vergangenheitsform der
Sprache genügt, ein,Pawel ist ganz ein Sohn seiner Zeit. Romantisch,
empfindsam. Nicht ohne Ironie vergleicht er sich mit einem literarischen
Helden, erklärt: "Jemanden wie mir ist es unerlaubt, sich in tragischen
Romanzen zu verlieren." hof