Kultur-Regional Montag 12

Kultur-Regional           Montag 12. April 1999

 

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Die Apfelsine und der Aha -Wera  Effekt
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Steffen Gresch spielt Turgenjews Briefnovelle "Faust" im "Theater im Viertel"

"Tolles Bühnenbild, aber was hat das Ganze mit Faust zu tun" , so der Kommentar eines Premierenbesuchers. "Faust" ist der Titel des Stücks im "Theater im Viertel", das auf der gleichnamigen Novelle in Briefen von Iwan Turgenjew basiert. "Faust" deshalb, weil die Lektüre des Dramas eine zentrale Rolle spielt. Ob es allerdings unbedingt Faust sein muß, sei dahin gestellt, schließlich sagt Wera, die Angebetete des Protagonisten Pawel an entscheidender Stelle: "Was haben Sie nur mit mir angestellt. Ich liebe Sie." Sie sagt wohlgemerkt nicht: "Was hat Faust mit mir angestellt." Ob es mehr um Faust an sich oder um die Rolle der Literatur im Allgemeinen geht, darüber haben sich schon die Literaturwissenschaftler bei der Interpretation des russischen Autors gestritten. Letztendlich geht es hier auf der Bühne um den Kampf zwischen Phantasie und Psychologie. Weras Über-Ich siegt, also deren Mutter, welche die Phantasie, erweckt durch Literatur, mehr fürchtet als das Feuer. Wera wird wahnsinnig, folgt der Mutter ins Grab. Diese Figur der Wera lernen wir aus Pawels Perspektive kennen, aus dessen Briefen an einen Freund. Neun Szenen - jede entspricht einem Brief - hat das Stück. Darin folgt Steffen Gresch, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler, der literarischen Vorlage. Bei der Umsetzung zieht er alle Register der darstellenden Kunst. Mal kratzt die Feder übers Papier, wird klack, klack temperamentvoll mit Tinte gefüllt. Dann wieder wird der Briefschreiber zum Erzähler, zum Darsteller. Gresch spielt nicht nur Pawel, sondern auch ganze Dialoge mit Weras Ehemann. Stellt eine Gartenszene mit Obst nach. Wera wird von einer Apfelsine symbolisiert. Später, wenn Pawel diese zur Hand nimmt, kommt der Aha-Wera-ist-gemeint-Effekt. Die Inszenierung enthält viele komische Elemente. Das böse Ende ist überraschend. Trotz der tragischen Konstellation, Wera ist verheiratet und das Stück spielt Mitte des 19. Jahrhunderts, wäre ein Happy-End denkbar. Steffen Gresch spielt "Faust" so, daß wie immer die Geschichte ausgehen würde, die Handlung logisch wirkt. Von der Struktur her ist es ein literarisches Stück. Zum Bühneneffekt kommen die Möglichkeiten der Literatur hinzu. Rückblenden, in denen die Vorgeschichte erzählt wird, fügen sich leicht, die Vergangenheitsform der Sprache genügt, ein,Pawel ist ganz ein Sohn seiner Zeit. Romantisch, empfindsam. Nicht ohne Ironie vergleicht er sich mit einem literarischen Helden, erklärt: "Jemanden wie mir ist es unerlaubt, sich in tragischen Romanzen zu verlieren." hof